Geschlechtsneutrale Sprache bedeutet, dass man innerhalb seines Sprachgebrauches möglichst alle Geschlechter gleichgestellt sind. Hierzu zählen auch Vorschläge zur Veränderung des Sprachsystems in den Bereichen Wortschatz, Rechtschreibung und Grammatik. Von „Gendern“ wird gesprochen, wenn ein Text nach Vorgaben des geschlechtergerechten Formulierens erstellt oder umgeschrieben wird. Zur Vermeidung des mehrdeutigen Wortes „Geschlecht“ (sprachlich/zugewiesen) wird zunehmend die Bezeichnung gendergerechte Sprache verwendet.
Theoretische Grundlagen in der Deutschensprache[]
Eine Grundthese der feministischen Sprachkritik besagt, dass die Vormachtstellung des Mannes in der Gesellschaft auch in Struktur und Wortschatz einer Sprache zum Ausdruck komme. Im Verhältnis von Mann und Frau beobachten feministische Sprachforscher eine „fundamentale Asymmetrie“ und bezeichnen die deutsche Sprache daher „in ihrer Struktur und ihrem Lexikon [als] sexistisch und androzentrisch“.[1] Diese männliche Dominanz in der Sprache wiederum festige die nachgeordnete Stellung der Frau. Diesbezüglich wird eine Veränderung der Sprache für notwendig erachtet, um auf dem Weg eines sprachlich ausgelösten Bewusstseinswandels die Gleichstellung von Frauen in der Gesellschaft voranzubringen. Hierbei geht es vor allem auch darum, Frauen in der Sprache „sichtbar“ zu machen und ihnen so zu angemessener Repräsentanz in der sprachlichen Kommunikation zu verhelfen.
Das herkömmliche generische Maskulinum (Substantive mit maskulinem Genus und Artikel „der“) dient im Singular zur Bezeichnung eines Mannes, einer bestimmten Person unbekannten Geschlechts oder einer unbestimmten Person beliebigen Geschlechts – die auch weiblich sein kann – und im Plural zur Bezeichnung von Gruppen, die rein männlich oder geschlechtlich gemischt sind. In vielen Fällen bestehen für solche maskulinen Substantive auch abgeleitete Wortformen mit dem Morphem {-in(nen)}, die speziell eine weibliche Person oder eine Gruppe von Frauen bezeichnen. Ein Beispiel für das generische Maskulinum ist „Verkäufer“, weil dieses Wort sowohl spezifisch einen männlichen Verkäufer meinen als auch generisch, also geschlechtsunabhängig, verwendet werden kann – während „Verkäuferin(nen)“ ausschließlich auf Personen weiblichen Geschlechts bezogen ist.
Es gibt in der deutschen Sprache keine generischen Feminina für Menschen – feminine Worte wie Person, Lehrkraft, Geisel oder Waise können nicht in generischer Weise verwendet werden, weil sie von sich aus sprachlich keinen Bezug zum biologischen Geschlecht (Sexus) der Referentierten herstellen. Um das biologisches Geschlecht von Betroffenen kenntlich zu machen, muss ein Adjektiv ergänzt werden: eine weibliche Person, die männliche Lehrkraft, mehrere diversgeschlechtliche Geiseln.
Diese „Asymmetrie“ (Seitenverschiedenheit) zwischen der verallgemeinernden Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen und der Abwesenheit femininer Personenbezeichnungen wird vor allem von feministischen Sprachwissenschaftlerinnen als androzentrisch kritisiert (der Mann als soziale Norm). Geschlechtergerechte Sprache soll diese Asymmetrie vermeiden oder gänzlich abschaffen.[2][3] Ihre Zielsetzung ist, die sprachliche Gleichstellung der Geschlechter entweder durch Sichtbarmachung aller Geschlechter oder durch Neutralisierung geschlechtlicher Aspekte zu erreichen. Bei der Sichtbarmachung oder „Beidnennung“ (Paarform, Doppelnennung) werden stets die männliche und die weibliche Personenbezeichnung zusammen und gegebenenfalls in wechselnder Reihenfolge verwendet. Dies ist auch bei getrennten Lexemen die bevorzugte Methode („Sehr geehrte Damen und Herren“). Die in einigen Sprachen bereits gegebene Neutralisierung wird durch die Wahl oder Schaffung von Wörtern oder Wortformen erreicht, die nicht mit der Bezeichnung für ein Geschlecht identisch und insofern neutral im engeren Sinne des Wortes sind. Hierbei werden also Geschlechtlichkeiten von Personen unsichtbar gemacht.
In der Pionierzeit der Feministischen Linguistik wurde noch nicht der empirisch überprüfbaren Frage nachgegangen, ob Frauen sich durch das generische Maskulinum wirklich nicht „mitgemeint“ fühlen, sondern dies wurde als Grundannahme postuliert. In psycho- und soziolinguistischen Experimenten wurde später mehrfach nachgewiesen, dass Leser und Hörer weitgehend unabhängig vom eigenen Geschlecht bei einem maskulinen Wortstimulus (etwa „ein Arzt“) prototypisch an einen Mann und nicht an einen geschlechtsunbestimmten Menschen denken; allerdings tritt der Effekt auch, wenngleich weniger stark, bei einem neutralen (etwa „ein Kind“) oder fast neutralen Stimulus (etwa „ein Mensch“ oder „eine Person“) auf. Dies spricht dafür, dass der kritisierte Sexismus im Sprachgebrauch nicht oder zumindest nicht hauptsächlich im Sprachsystem begründet ist, sondern in der Erfahrung und Annahme der gesellschaftlichen Realität liegt; es handelt sich also eher um ein soziologisches als um ein linguistisches Phänomen. Bei der expliziten Beidnennung (ein Arzt oder eine Ärztin) sowie bei getrennten Lexemen (ein Mann oder eine Frau) verschwindet der Gender Bias; allerdings gilt dies nicht oder nur eingeschränkt für Kurzformen aller Art („Mediziner oder -in“, „Mediziner/in“, „Mediziner/-in“, „MedizinerIn“, „Mediziner(in)“, „Mediziner_in“, „Mediziner (m/w)“). Bei Anwalt/Anwältin möge die vollständige Paarform verwendet werden. Das geschriebene Binnen-I und die ausgesprochene Verkürzung könnten jedoch zu einem weiblichen Bias führen.[4]
Gendern[]
- → Hauptartikel: GendernGendern oder Gendering (von englisch gender „soziales Geschlecht“: etwa „Vergeschlechtlichung“) ist eine eingedeutschte Wortbildung aus dem angelsächsischen Sprachraum und bezeichnet die Berücksichtigung oder Analyse des Geschlechter-Aspekts in Bezug auf eine Grundgesamtheit von Personen, etwa in Wissenschaft, Statistik und Lehre.+
Andere Sprachen[]
Englisch[]
In der englischen Sprache findet sich seit dem 14. Jahrhundert auch die unbestimmte Verwendung des pluralen Fürworts they in der singularen Bedeutung für eine einzelne Person, als neutrale Alternative zu den geschlechtsbezogenen Fürwörtern he und she.[5] Ab Mitte der 2010er-Jahre verbreitet sich das singulare they für nichtbinäre Personen. Daneben gibt es immer wieder Vorschläge für geschlechtlich unbestimmte Fürwörter wie xe, ze oder das zie / hir von Norrie May-Welby.[6] Von diesen konnte aber noch keines eine signifikante Verbreitung oder Akzeptanz erlangen. Als Schrägstrichschreibung tritt mitunter s/he auf. Da das Genus aus der englischen Grammatik ansonsten fast vollständig verschwunden ist, spielen dort andere Phänomene als die Übereinstimmung mit dem biologischen Geschlecht (Sexus) eine größere Rolle im öffentlichen Diskurs als etwa im Deutschen.
Als geschlechtsneutrale Anrede ist Mx aufgekommen (ausgesprochen: „Mix“ oder „Max“), dabei werden die Endungen der männlichen Anrede Mr (Mister „Herr“) und der weiblichen Form Mrs (Mistress „Frau“) oder Ms durch ein x ersetzt. Im Dezember 2015 nahm das Oxford English Dictionary die Anredeform Mx auf.[7][8][9]
In neuester Zeit werden auch genderspezifische Bezeichnungen verändert: mailman / mailwoman wird zu mail carrier.
Französisch[]
- → Hauptartikel: Genderstern#FranzösischIn der französischen Sprache gibt es im Unterschied zum Deutschen verschiedene Personalpronomen für die zwei Geschlechter auch in der Pluralform: Der deutsche Satz „sie singen“ heißt ils chantent für männliche und elles chantent für weibliche Personen. Für gemischte Personengruppen wird die männliche Form verwendet.[10]
Für einige Berufsbezeichnungen gibt es geschlechtsneutrale Substantive, sogenannte épicènes, beispielsweise l’architecte (der Architekt/die Architektin) le/la pianiste (der Pianist/die Pianistin), le/la sécretaire (der Sekretär/die Sekretärin). Als neue geschlechtsneutrale Bezeichnungen (nouveaux épicènes) kommen Bezeichnungen wie le/la juge (der Richter/die Richterin) und le/la ministre (der Minister/die Ministerin) hinzu: So löste etwa in der französischen Politik gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Anrede Madame la Ministre die zuvor verwendete Anrede Madame le Ministre weitgehend ab.
Bereits im Jahr 1984 hatte Yvette Roudy, Ministerin für die Rechte der Frau, eine Kommission für die Formulierung frauengerechter Berufs- und Funktionsbezeichnungen eingesetzt. Deren Vorschläge zu weiblichen Bezeichnungen, Titeln und Dienstgraden ließ der scheidende sozialistische Premierminister Laurent Fabius 1986 den entsprechenden Dienststellen zur Beachtung zukommen.[11][12]
Bereits 1999 hatte das Centre national de la recherche scientifique eine Liste mit weiblichen Berufsbezeichnungen zusammengestellt und beispielsweise die feminine Form écrivaine („Schriftstellerinnen“) vorgeschlagen. Die Académie française hatte diese Schreibweisen oder Beidnennungen stets abgelehnt: Das generische Maskulinum sei die neutrale, unmarkierte Form.[13][14] Im Februar 2019 stellte die Académie mit nur zwei Gegenstimmen fest, dass es keine prinzipiellen Hinderungsgründe gibt, in der französischen Sprache Berufsbezeichnungen, Funktionsbezeichnungen, Titel und akademische Grade in der weiblichen Form zu verwenden.
Isländisch und Finnisch[]
Die isländische Sprache hat das geschlechtsneutrale Pronomen hán als Zusammenfassung von „er/sie“ (ähnlich zum neuen schwedischen hen). Es wird seit 2016 an der Universität Island gelehrt und wurde aus dem finnischen hän gebildet. Die finnische Sprache ihrerseits kennt kein grammatisches Geschlecht (Genus).[15]
Portugiesisch und Spanisch[]
In der portugiesischen und der spanischen Sprache wird aufgrund der häufigsten Genusmarkierung eines Wortes durch die Endung -o oder -a, von manchen das @-Zeichen als Kombination beider Buchstaben verwendet: „Caras amigas e caros amigos“ (Liebe Freundinnen und liebe Freunde) > „Car@s amig@s“. In vielen romanischen Sprachen werden Adjektive wie im Beispiel zu sehen und anders als im Deutschen auch im Plural geschlechtsabhängig dekliniert.
Rumantsch[]
In der Schriftsprache Rumantsch Grischun wird zwischen maskulinen und femininen Substantiven unterschieden: il scolar, der Schüler; la scolara, die Schülerin; ils scolars, die Schüler, wenn es sich um männliche Schüler oder um eine gemischte Gruppe von männlichen und weiblichen Schülern handelt; las scolaras, wenn es sich um eine Gruppe von Schülerinnen handelt. Wie im Deutschen wird ein grammatikalisches Geschlecht verwendet. So heißt es zum Beispiel la gruppa da scolars, die Schülergruppe (feminin), obwohl die Gruppe aus männlichen Schülern besteht, aber il chor da scolaras, der Chor von Schülerinnen (maskulin).
Schwedisch[]
In der schwedischen Sprache gibt es seit der Jahrtausendwende neben den persönlichen Fürwörtern han und hon („er“ und „sie“) das geschlechtsneutrale hen (nicht zu übersetzen, am ehesten: „sier“). Es kann etwa eine Person mit neutraler Geschlechtsidentität beschreiben oder eine Person unbekannten oder unbestimmten Geschlechts. Spätestens 2012 tauchte hen im Sprachgebrauch auf und verbreitete sich so rasch, dass die Schwedische Akademie das Wort 2014 in ihre Wortliste aufnahm.[16] Im April 2015 fand hen auch Aufnahme im offiziellen Wörterbuch der schwedischen Sprache, der Svenska Akademiens ordlista.
Thailändisch[]
Die thailändische Sprache kennt kein grammatisches Geschlecht. Bestimmte Substantive haben eine geschlechtsspezifische Bedeutung, etwa chai „Mann“ – ying „Frau“ – pho „Vater“ – mae „Mutter“ – racha „König“ – rachini „Königin“. Die meisten Substantive sind hingegen in ihrer lexikalischen Bedeutung geschlechtsneutral, etwa khon („Mensch“), khru („Lehrer/in“) oder nakrian („Schüler/in“, wörtlich „Person-lernen“). Soll das Geschlecht der Person mitangegeben werden, so erfolgt dies durch Wortzusammensetzung, etwa nakrian-chai („Schüler“, wörtlich „Person-lernen-Mann“) und nakrian-ying („Schülerin“, wörtlich „Person-lernen-Frau“). Selbst manche Bezeichnungen für Familienmitglieder sind in ihrer Grundform geschlechtsneutral, etwa phi („älteres Geschwister“) und nong („jüngeres Geschwister“). Soll hingegen mitgeiteilt werden, ob es sich um einen Bruder oder eine Schwester handelt, ist wiederum eine Zusammensetzung erforderlich, etwa phi-sao („ältere Schwester“) und nong-chai („jüngerer Bruder“).[17]
Mit Bezug auf Gruppen verschiedenen Geschlechts wird in der Regel die geschlechtsneutrale Grundform verwendet. Auch bei der Anrede eines Publikums werden meist geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet, etwa than phu mi kiat („geehrte Gäste“) statt „meine Damen und Herren“. Nur wenn besonders betont werden soll, dass einer Gruppe Personen beiderlei Geschlechts angehören, werden die geschlechtsspezifischen Zusammensetzungen verwendet.[18]
Einzelnachweise[]
- ↑ Gisela Schoental: Personenbezeichnungen im Deutschen als Gegenstand feministischer Sprachkritik. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik. Band 17, Heft 3, online: 28. Oktober 2009, Seiten 296–314, hier S. 301 (doi:10.1515/zfgl.1989.17.3.296).
- ↑ Ingrid Samel: Asymmetrien in Sprachsystem und Sprachgebrauch. In: Dieselbe: Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. Erich Schmidt, Berlin 1995, ISBN 3-503-03709-8, S. 49–52, hier S. 50.
- ↑ Gisela Schoenthal: Personenbezeichnungen im Deutschen als Gegenstand Feministischer Sprachkritik. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik. Band 17, Nr. 3, Januar 1989, S. 296–314 (doi:10.1515/zfgl.1989.17.3.296).
- ↑ Stahlberg/Sczesny u. a.
- ↑ Lexikoneintrag: they, pron., adj., adv., and n. In: Oxford English Dictionary. Abgerufen am 12. Mai 2020 (englisch).
- ↑ Helene Bubrowski: Intersexualität: Unten Barbie, oben Ken. In: FAZ.net. 2. April 2014, abgerufen am 12. Mai 2020.
- ↑ Lexikoneintrag: Mx, n. In: Oxford English Dictionary. Dezember 2015, abgerufen am 12. Mai 2020 (englisch).
- ↑ Clara Zink: Gendergerechte Sprache: Oxford Dictionary berät über „Mx“. In: taz.de. 4. Mai 2015, abgerufen am 12. Mai 2020.
- ↑ Matthias Heine: Kultur – Mr, Mrs oder Mx: Auch Englisch hat jetzt ein drittes Geschlecht. In: Die Welt. 6. Mai 2015, abgerufen am 12. Mai 2020.
- ↑ André Meinunger: Linguistik: Wie sexistisch ist die deutsche Sprache? In: Die Welt. 7. Juli 2013, abgerufen am 28. Mai 2020 (Sprachwissenschaftler).
- ↑ Gisela Klann-Delius: Sprache und Geschlecht: Eine Einführung. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3-476-10349-8, S. 183 (doi:10.1007/978-3-476-05072-4_4).
- ↑ Elisabeth Burr: Gender and language politics in France. In: Marlis Hellinger, Hadumod Bußmann: Gender Across Languages: The linguistic representation of women and men. Band 3. Benjamins, Amsterdam 2003, S. 119–139, hier S. 122 (englisch; PDF: 226 kB, 22 Seiten auf uni-leipzig.de).
- ↑ Matthias Heine: Verständlichkeit vor Feminismus: Frankreichs Premier verbietet Gender-Schreibweisen. In: Die Welt. 22. November 2017, abgerufen am 24. Mai 2020.
- ↑ https://www.youtube.com/watch?v=l_2cH7IbphE
- ↑ Meldung: Finland wants to encourage equality and give the world a word – their all-inclusive personal pronoun, hän. In: Finlandabroad.fi. 3. Juni 2019, abgerufen am 28. Juni 2020 (englisch; Website des finischen Außenministeriums).
- ↑ Amelie Persson: Schweden führt geschlechtsneutrales Personalpronomen ein. In: FAZ.net. 30. Juli 2014, abgerufen am 29. Mai 2020.
- ↑ Korakoch Attaviriyanupap: The linguistic representation of gender in Thai. In: Marlis Hellinger, Heiko Motschenbacher: Gender Across Languages. Band 4. John Benjamins, Amsterdam/Philadelphia 2015, S. 369–399, hier S. 371–373 (englisch).
- ↑ Korakoch Attaviriyanupap: The linguistic representation of gender in Thai. In: Marlis Hellinger, Heiko Motschenbacher: Gender Across Languages. Band 4. John Benjamins, Amsterdam/Philadelphia 2015, S. 369–399, hier S. 377 (englisch).